SiedlungsgeschichteRollbergviertel Vom Arbeiterquartier der Gründerzeit zum Sanierungsgebiet Noch bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts wurden die Rollberge ausschließlich landwirtschaftlich genutzt. Sie waren auch Standort zahlreicher Mühlen, die dort in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts errichtet wurden.
Im nahegelegenen Berlin setzte damals die Industrialisierung ein, die innerhalb kurzer Zeit zu einem sprunghaften Anstieg der Einwohnerzahl durch zuwandernde Arbeitsuchende führte. Dies löste gleichzeitig einen ersten Bauboom mit einer starken Nachfrage nach Baumaterialien aus, da die neuen Einwohner auch untergebracht werden mußten. Als Folge des ständigen Einwohnerzuwachses wurde städtischer Boden in der Stadt knapp. Das Interesse richtete sich auf die Gemeinden vor den Toren Berlins, zu denen auch die Gemeinde Rixdorf gehörte. Es wurden Bebauungspläne (u.a. Hobrechtplan von 1861) aufgestellt, die weit über die damaligen Stadtgrenzen hinausreichten, um eine aus Berliner Sicht geordnete Entwicklung zu gewährleisten. Auch wurde damit begonnen, flächenintensive, städtische Einrichtungen in die Vororte zu verlagern. Schulgebäude von 1860, Briesestraße 3-5
In Rixdorf führten die Berliner Geschehnisse dazu, daß bereits 1865 im südlichen Bereich der Rollberge, rechts und links der Hermannstraße, die Friedhöfe der Luisenstädtischen Kirchengemeinden (St. Thomas-, St. Jacobi-, St. Michael- u. a. Friedhöfe) angelegt wurden, da innerhalb der Stadt kein Platz mehr für weitere Begräbnisstellen war.
Zur gleichen Zeit begann auf den Rollbergen der Abbau von Kies und Sand als Baumaterial für Berlin. Die Rixdorfer Grundbesitzer, denen die Flurstücke auf den Rollbergen gehörten, verdienten gut an dem Geschäft. Allmählich wurden durch den Bergbaubetrieb die Rollberge abgetragen und das Gelände somit für die spätere Bebauung vorbereitet. Schon 1872 gründete die Vereinsbrauerei Berliner Gastwirte Aktiengesellschaft (heute Kindl Brauerei) am nördlichen Rand ihre Brauerei. Werbellinstraße 1963 | Werbellinstraße 1973 |
Am 1.1.1874 entstand durch Zusammenlegung von Deutsch und Böhmisch Rixdorf die neue Gemeinde Rixdorf deren Einwohnerzahl stetig zunahm. Ein Jahr später, 1875, wurde daher ein Bebauungsplan aufgestellt, der Grundlage für die bauliche Entwicklung in den darauffolgenden Jahrzehnten wurde. Er sah für den Bereich der Rollberge vier parallel zwischen der Hermann- und der Berg-, heute: Karl-Marx-Straße, verlaufende Straßen und die südlich nur bis zur heutigen Morusstraße reichende Kopfstraße vor. Quer zu diesen verliefen die Falk- und die heutige Morusstraße. Die entstandenen Baublöcke wurden in gleich große Parzellen aufgeteilt, mit deren Bebauung kurzfristig begonnen wurde.
Es entstanden dicht bebaute Grundstücke mit Vorderhäusern, teilweise Seitenflügeln und/oder Quergebäuden, einfachster Bausubstanz zur Unterbringung möglichst vieler Arbeiter. In den Höfen waren in Remisen und Schuppen meist noch zusätzlich Gewerbebetriebe untergebracht. Die überwiegend vorhandenen "Stube-Küche-Wohnungen" hatten weder Bäder noch Innentoiletten; oft mußten sich die Mieter eines Hauses zwei oder drei Hoftoiletten teilen. Gleichzeitig wurden so hohe Mieten verlangt, daß die Miete einer Wohnung nur dann zu finanzieren war, wenn neben den Hauptmietern noch mehrere "Schlafburschen" einen Anteil zahlten. Die katastrophale sanitäre Ausstattung, die ständige Überbelegung der Wohnungen, sowie eine fehlende Belüftung und Besonnung der Grundstücke hatten weitreichende negative Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der Bewohner. Krankheiten breiteten sich schnell aus. Die Säuglings- und Kindersterblichkeit war erheblich höher als in anderen Wohnvierteln. Gewalt und Kriminalität waren an der Tagesordnung. Heruntergekommene Häuser, schlechte Wohnverhältnisse, die Konzentration armer Familien brachten dem Rollbergviertel bald einen schlechten Ruf ein, der ihm über die folgenden Jahrzehnte erhalten blieb. Für eine nachhaltige Verbesserung der Lebensverhältnisse der Bewohner des Rollbergviertels fehlten als Folge der weltpolitischen Ereignisse (zwei Weltkriege, Weltwirtschaftskrise u. a.) sowohl die finanziellen Mittel als auch das Interesse, da sich der Wohnungsbau in den zwanziger und dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts nach neuen städtebaulichen Leitideen auf die noch unbebauten Flächen im Bezirk konzentrierte. Stand 1963 | Stand 1973 |
Zu Beginn der sechziger Jahre richtete sich das öffentliche Interesse zunehmend auf die innerstädtischen Quartiere mit ihren schlechten Wohnverhältnissen. Als eines der ersten wurde das Rollbergviertel bereits 1963 im Rahmen des 1. Berliner Stadterneuerungsprogramms zum Sanierungsgebiet erklärt. Die förmliche Festlegung erfolgte 1972. Den damaligen Leitideen der Flächensanierung entsprechend - heute wird es als "Kahlschlagsanierung" bezeichnet - bedeutete dies den fast vollständigen Abriß aller Baublöcke. Von ca. 5.000 Wohnungen blieben nur ca. 200 in Altbauten und noch 140 in Nachkriegsbauten erhalten. Zusätzlich wurde zwischen Werbellin-, Morus- und Kopfstraße das Straßenraster aufgehoben und damit die ursprüngliche Baublockstruktur zerschlagen. Es entstanden im öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau ca. 2.000 neue Wohnungen in den berühmten "Ringen". Dies hatte obendrein einen fast vollständigen Bewohneraustausch zur Folge. Durch diese Abkehr von der historischen Struktur sollten soziale, städtebauliche und funktionale Mißstände beseitigt werden.
Aus heutiger Sicht wird das Ergebnis der damaligen Flächensanierung äußerst kritisch bewertet. Das Rollbergviertel ist bis heute in seine Umgebung weder städtebaulich noch sozial vollständig integriert. Problematische Entwicklungen machten daher in der Vergangenheit, aber auch heute immer wieder Interventionen notwendig. Mehrfach wurden hohe Summen in die Verbesserung des Wohnumfeldes gesteckt. Inzwischen ist das Rollbergviertel z.B. Teil des Modellprojektes zur Gewaltprävention bei Kindern und Jugendlichen. Seit März 1998 sind die bisher strengen Belegungsbindungen Wohnungsvergabe ausschließlich an WBS-Mieter - im Gebiet gelockert worden. Auf die Erhebung von Ausgleich- und Fehlbelegungsabgaben wird verzichtet. Damit sollen Besserverdienende im Gebiet gehalten bzw. zum Zuzug bewegt werden, um eine ausgewogene Sozialstruktur zu erreichen. Sanierungsgebiet Neukölln - Rollbergstraße
"Vom Block zum Ring" Alle diese Maßnahmen stoßen jedoch dort an ihre Grenzen, wo bundespolitisch gesetzte Rahmenbedingungen nicht auf Dauer verändert werden. Schematisch steigende Sozialbaumieten bei im Prinzip seit etwa 20 Jahren konstant gebliebenen Einkommensgrenzen für den Bezug eines Wohnberechtigungsscheins führen in einem Gebiet mit fast ausschließlich vorhandenen Sozialbauwohnungen zu einer Konzentration von Mietern, deren Miete das Sozialamt zahlt. Hier sind auch in Zukunft weitere Anstrengungen wie z.B. das Quartiersmanagement nötig, um dem Rollbergviertel zu einer positiven Rolle innerhalb der Neuköllner Altstadtquartiere zu verhelfen. |