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19 Punkte für einen besseren Kinderschutz - Konsequentes Vorgehen notwendig

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Anläßlich des aktuellen Kindesmisshandlungsfalls eines fünf Monate alten Mädchens mit einem “Shaken Baby Syndrome” (Schütteltrauma) in Berlin Pankow erklärt Neuköllns Jugend- und Gesundheitsstadtrat Falko Liecke:

“Es ist an der Zeit, das Netzwerk Kinderschutz zuverlässiger auszubauen, um Misshandlungen von Kindern zu verringern. Die Papierlage ist im System Kinderschutz gut, es scheitert aber oft an fehlenden gesetzlichen Regelungen, ganz praktischen Abläufen und menschlichem Versagen. Aber: Die ganz großen Lösungen gibt es nicht, sondern ein Puzzle von Maßnahmen, die konsequent umgesetzt werden müssen.”

“Die Jugendämter können nicht hinter jeder Tür stehen, müssen aber auch die Ressourcen bekommen, um konsequent einzugreifen. Das Jugendamt Neukölln hat hier einen Strukturwandel eingeleitet und z.B. ein Kinderschutzteam mit zusätzlichem Personal eingerichtet und seine freien Stellen neu besetzt. Das ist ein Novum in Berlin”, so Liecke weiter.

Aus den aktuellen Diskussionen zum Thema Kinderschutz sind meine Forderungen entstanden:

  1. Einführung von verbindlichen Früherkennungsuntersuchungen (“U-Untersuchungen”) mit Sanktionsmöglichkeit/Bußgeldtatbestand der Eltern bei Nichtteilnahme. Hierzu ist eine Neuregelung im Berliner Kinderschutzgesetz erforderlich. Der Datenabgleich zwischen Gesundheits- und Jugendamt wird verbindlich geregelt.
  2. Größere Verbindlichkeit von Neugeborenenbesuchen durch den Kinder- und Jugendgesundheitsdienst (Gesundheitsamt); alle neugeborenen Kinder werden besucht und Eltern beraten. Kinder/Familien die nach mehrmaligen Versuchen nicht erreicht werden, soll ein Beratungsangebot durch das Jugendamt ermöglicht werden. Der Datenabgleich zwischen Gesundheits- und Jugendamt wird verbindlich geregelt (Berliner Kinderschutzgesetz).
  3. In den Jugendämtern sollen zusätzliche Kinderschutzteams zur schnellen Intervention eingesetzt werden (“Feuerwehrfunktion”). Eine Mindestausstattung von sechs Sozialarbeitern, einer Führungskraft und eine Verwaltungskraft haben sich z.B. in Neukölln bewährt.
  4. Festlegung einer Fallobergrenze pro Mitarbeiter in den Jugendämtern auf maximal 50 Fälle gem. einheitlicher Falldefinition in Berlin.
  5. Einführung einer gesetzlichen Generalklausel im Kinderschutz. Datenschutz darf nicht zum Hindernis werden: Informationen innerhalb der Behörden, z.B. zwischen Jugend- und Gesundheitsämtern, Schulen und Kitas müssen schon in Verdachtsfällen ausgetauscht werden können und nicht erst im konkreten Kinderschutzfall.
  6. Verbindliche Kooperation zwischen Jugend- und Gesundheitsämtern, Krankenhäusern, gerichtsmedizinischem know-how und Kinderschutzteams mit den niedergelassenen Kinderärzten sind erforderlich. Die Institutionalisierung solcher Fachkooperationen muss sichergestellt werden.
  7. Verbindliche Festlegung von Präventionsarbeit (z.B. Einrichtung von Schreiambulanzen) und Sicherstellung von dezentralen Unterstützungsangeboten für Familien ab der Schwangerschaft.
  8. Das Instrument der Hebammen wird ausgebaut. Sie unterstützen und begleiten die Familien, im Bedarfsfall auch über die bisherigen Einsatzmöglichkeiten hinaus (bisher bis zu acht Wochen). Sofern Anforderungen in der Familie bestehen, sollen die Betreuungszeiten erweitert werden können. Mit einem standardisierten Repertoire an Themen (z.B. Rauchen/Alkohol/Drogen/Suchtverhalten, Essgewohnheiten, Zeitplanung und Tagesgestaltung, soziale Probleme etc.) sollen sie erste Hilfestellungen bieten und ggf. in weitere Hilfsmaßnahmen vermitteln können.
  9. Eltern in prekären Lebenslagen, z.B. alleinerziehende, minderjährige oder sehr junge Mütter/Väter erhalten eine Verpflichtung zur Kooperation und Nutzung der Angebote (“Elternführerschein”). Standardisierte und kostenfreie Angebote dienen zur Bewältigung des Alltags (z.B. Fragen der Hygiene, Ernährung, Tages- und Freizeitgestaltung, Sprachförderung, Bildung usw.). Familienhebammen begleiten diese Familien in enger Kooperation mit dem Gesundheits- und/oder Jugendamt bedarfsorientiert.
  10. Einführung einer gesetzlichen Reaktionspflicht der niedergelassenen Ärzte in Fällen von Misshandlungen. Hierbei ist das Jugendamt zu informieren und/oder die Überweisung an eine Klinik mit einer Kinderschutzambulanz vorzusehen.
  11. In Verdachtsfällen auf Kindeswohlgefährdung ist eine Kinderschutzambulanz an einem Krankenhaus oder die Gewaltschutzambulanz an der Charité aufzusuchen (nachrangig ein niedergelassener Kinderarzt), um umfassende, auch röntgenologische Untersuchungen sowie die Dokumentation durchzuführen. Dabei sind dezentrale Strukturen verbindlich festzulegen. Diese Ambulanzen müssen mit mindestens einem ständig verfügbaren Arzt sowie einer Helferin ausgestattet sein. Die Rechtsmedizin steht über ein Konzil zur Verfügung. Das Jugendamt ist enger Partner der Kinderschutzambulanz.
  12. Gerichtsmedizinische Ausbildung von angehenden Kinderärzten im Curiculum verbindlich festlegen.
  13. Familienrichter weisen oftmals zu wenig konkrete Erfahrungen im Kinderschutz auf. Hier muss – aufgrund der richterlichen Unabhängigkeit – eine gesetzliche Fortbildungspflicht im Bundeskinderschutzgesetz aufgenommen werden.
  14. Gerichtsmedizinische Fortbildungen in den Jugendämtern und bei Trägern der Familienhilfe sind als Qualitätsstandard festlegen.
  15. Abschaffung des gesetzlichen Trägervorrangs (§ 4 SGB VIII) vor öffentlicher Leistung in der Jugendhilfe, d.h. die Jugendämter müssen in der Lage sein, auch eigene Angebote der Jugendhilfe zu betreiben und nicht alleine auf Träger der freien Jugendhilfe angewiesen zu sein.
  16. Der verfassungsrechtlich verbriefte Auftrag (Art. 6 GG) an die Jugendämter, das Wächteramt über die Familie auszuüben, muss in der Praxis auch durch vor Ort Besuche, Kontrollen und Begutachtungen der Träger möglich sein, ob beispielsweise die Qualitätsstandards und die praktische Versorgung sichergestellt ist. Der wirtschaftliche Auslastungsgrad einer trägerbetriebenen Einrichtung muss den Jugendämtern bekannt sein.
  17. Anpassung des SGB VIII (Jugendhilfe): Verbindliche Arbeit mit den Kindesvätern oder Lebenspartnern einführen, um mögliche Risiken aus dieser Gruppe frühzeitig zu erkennen und diesen entgegenzuwirken. Viele Misshandlungen erfolgen aus dieser Gruppe heraus, die aber oftmals nicht umfassend eingebunden wird. Auskunftsrechte ggü. anderen Behörden (z.B. Polizei, Staatsanwaltschaft) müssen den Jugendämtern ermöglicht werden.
  18. Zunehmend werden Kinderschutzfälle in Flüchtlingsunterkünften bekannt und erfordern das Einschreiten des Jugendamtes. Hierzu ist es notwendig, ein sprach- und kulturkundiges Kriseninterventionsteam vorzuhalten, um lange Wege über die Anforderung eines Dolmetschers zu vermeiden und Zielgruppengerecht handeln zu können. Damit können auch Konflikte zielgenauer begegnet werden.
  19. Einführung einer Fachsoftware in Arztpraxen, um ein “Arzt-Hopping” von mißhandelden Eltern zu vermeiden, z.B. “Riskid”, https://www.riskid.de

BA Neukölln, 1.12.2014