Galerie im Saalbau: Ausstellung HEIMISCH
Von BARBARA CAVENG und den Bürgern von Blankensee und Pampow
1. Februar bis 6. April 2014
Vernissage: 31. Januar, 18 Uhr
„Muss eben die Wildwurst im Kiosk den Bogen zur Jagd schlagen.“
Oder: Wie zwei Dörfer einen neuen Ort erfinden
Wer auf dem Oder-Neiße-Radweg entlang der Ueckermünder Heide fährt, kommt nach Pampsee. „Kunstgemeinde 2013, Landkreis Vorpommern-Greifswald“, verkündet das gelbe Ortsschild. Ein Platz mit einem KunstKiosk zum Verweilen und einer 2 × 14 Meter großen Holzskulptur, in die das Zitat „Mi kricht hier keener mehr wech“ eingearbeitet ist. Die sogenannte Holzmiete erinnert an die Minimal-Sculpture „Timber Piece | Bauholzobjekt“ von Carl Andre, der einmal über seine Arbeiten sagte: „Sie sind wie Straßen, nicht festgelegt in ihrem Blickpunkt. Ich denke, Skulptur sollte einen nicht festgelegten Blickpunkt haben.“ In diesem Sinne verändern die Holzmiete ebenso wie der KunstKiosk die Wahrnehmung. Der Passanten auf der Landstraße unweit der Grenze zu Polen, vor allem aber der Bürger von Blankensee und Pampow, die – gemeinsam mit der in Berlin lebenden Künstlerin Barbara Caveng –, Pampsee erfunden und erarbeitet haben.
Die Ausstellung HEIMISCH erzählt vom Werden dieser Kunstgemeinde.
2012 war Barbara Caveng eine von drei Preisträgern des Wettbewerbs „Dörfer für Kunst. Kunst fürs Dorf“ der Stiftung Kulturlandschaft. Während ihres sechsmonatigen Stipendiums hat die Schweizer Künstlerin den Erzählungen der Einwohner gelauscht und anhand von Interviews, Kunstkonferenzen und Arbeitsgruppen einen Prozess in Gang gesetzt, der das Leben in der 600-Seelen-Gemeinde verändert hat und auf dem neue Wege zur Kommunikations- und Identifikationsstiftung beschritten wurden. Ganz im Sinne der Künstlerin: „Mit individuellen Geschichten dem Dorf ein Gesicht geben, sein Lächeln nach außen kehren.“
Schon der Auftakt wurde zur beeindruckenden Performance. Im Vorfeld hatte Caveng mit einem Aufruf auf Deutsch und Polnisch um Leihgaben für ihre Blankenseer Wohnung gebeten. Nach dem feierlichen Empfang ‚ihrer Künstlerin’ an einem sonnigen Sonntag im März 2013, zog eine Einrichtungs-Brigade durch die schneebedeckte Landschaft und trug vom Kaffeelöffel bis zum Bett alles Lebensnotwendige in das temporäre Domizil.
Als performative Installation versteht Caveng auch den KunstKiosk. Ein recycelter DDR-Bauwagen mit Zitaten der Einheimischen, der zur Kommunikationsplattform für Bewohner wie für Touristen wird. Mit Getränken und regionalen Spezialitäten (wie den Wildwürsten) sowie eigens gestalteten Kochbüchern und Taschen im Pampsee-Design. Aus Stoffen, in denen sich Geschichte und die Geschichten der Menschen abgelagert haben. Entworfen und genäht von einer Arbeitsgruppe, von der auch die Sonnenschirme und Stühle im trendigen Retro-Look stammen.
Die von den Fluxus-Künstlern postulierte Verschränkung von Kunst und Leben findet hier eine eigene ästhetische Gestalt. Caveng hat mit „Mi kricht hier keener mehr wech“ ein partizipatives Kunstprojekt realisiert, das neue Maßstäbe setzt. Die Partizipierenden werden nicht zu Statisten oder Zuarbeitern einer vorgefassten künstlerischen Idee, sondern mit ihren Bedürfnissen, Wünschen und Erfahrungen Partner eines aktiven Prozesses. Nicht immer harmonisch, aber fruchtbar und nachhaltig. Pampsee bleibt auch 2014 Kunstgemeinde, der KunstKiosk nimmt seinen Betrieb in der warmen Jahreszeit wieder auf und die Künstlerinnenwohnung wird erhalten und zukünftig an Feriengäste vermietet.
Die Ausstellungsplattform HEIMISCH in der Galerie im Saalbau lässt nun die Situation der Region sowie der Menschen und ihren Wandlungsprozess für das Publikum in Berlin nachvollziehbar werden. Zwei wandfüllende Aufrisse der Dörfer und stilisierte Cut-Outs der Bewohner stellen die Aktivitäten, Stimmungen und Beziehungsgeflechte dar. In einer Eichenkommode – im typischen Stil und Material der Waldgegend –, können Besucher im KunstKiosk-Gästebuch blättern, im Nachbau der Holzmiete Fotografien anschauen oder an acht Audiostationen den Interviews lauschen. Die Sonnenschirmgruppe produziert eigens für Berlin Accessoires im Pampsee-Stil. Den Besuchern steht die Nähwerkstatt, in der mit gespendeten Stoffen aus Neukölln und eigenen Stoffen Taschen, Kleider etc. genäht werden können, während der gesamten Ausstellung offen. Einmal wöchentlich, immer mittwochs von 12-19 Uhr, werden unter professioneller Anleitung Sonnenschirme im BERLIN-Design gestaltet.
Der Fernsehsender arte hat die Projekte „Dörfer für Kunst. Kunst fürs Dorf“ filmisch begleitet. Die Dokumentation wird am 2. März 2014, von 10.00-13.30 Uhr im Passage Kino, Karl-Marx-Straße 131, gezeigt. (Text: Michala Nolte)
Barbara Caveng, 1963 in Zürich geboren, hat Schauspiel an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Graz studiert und arbeitet seit 1991 als freischaffende Künstlerin. Aufsehen erregten unter anderem ihre Installation „Djannat al-Ard | Paradies auf Erden“ in Damaskus (2011), das „Neuköllner Sozialparkett“ – ein „zeitgenössisches Historienbild“ (Peter Funken), das mittlerweile zur Sammlung der Berlinischen Galerie gehört –, sowie zuletzt HEAVEN HEAVEN HEAVEN (kuratiert von Paolo Bianchi) beim 20. Werkleitz Medienkunst-Festival in Halle: Ein installativer Raum, in dessen Mitte eine Kalaschnikow hängt. Nachgebaut aus Menschenknochen, deren Schatten eine immaterielle Umfriedung um das Memento mori bilden.
GALERIE IM SAALBAU
Karl-Marx-Straße 141, 12043 Berlin, Di – So: 10-20 Uhr